Franz Kafkas "Heimkehr" - die Fremde liegt in dir selbst

 

„Ich bin zurückgekehrt […]“, mit diesen Worten beginnt Franz Kafka seinen Text „Heimkehr“. Ein lapidarer Satz, der etwas verspricht, was sich im Laufe des Textes immer weniger bewahrheitet. Der Titel „Heimkehr“ verspricht dem Lesenden eine Situation, die vertraut scheint: Eine Person kehrt zurück, wie Kafka es beschreibt, an „meines Vaters alte[n] Hof“. Vertraute Umgebung blitzt auf, und, wie bei Kafka nicht überraschend, sind die vertrauten Bilder nicht solche, wie man sie sich vorstellt. Eine „Pfütze“, „altes unbrauchbares Gerät“, „eine lauernde Katze“, „ein zerrissenes Tuch […]im Wind“. Der Zurückkehrende wird von Fragen geplagt, wer ihn in diesem Haus erwarten wird. Der „Rauch“ aus dem Schornstein weckt Erinnerungen an den abendlichen Kaffee. Aber die jetzt vom Lesenden erwartete Vertrautheit tritt nicht ein. Das Gegenteil passiert. Eine Frage, die von irgendwoher außerhalb zu kommen scheint, verunsichert den Rückkehrenden:

„Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher.“

Er bemerkt, dass in des „Vaters Haus“ die nebeneinander stehenden „Stücke“ mit ihren „eigenen Angelegenheiten beschäftigt“ zu sein scheinen. Die Gegenstände sind noch dieselben, aber sie erschließen sich dem Ankommenden nicht und nehmen keine Notiz von ihm. Sie sind mit ihren „eigenen Angelegenheiten beschäftigt“, die der Ankommende vergessen oder „niemals“ gekannt hat. Dies weist darauf hin, dass das Verhältnis zu den Menschen im Haus auch früher kein enges und vertrauensvolles gewesen zu sein scheint.

Noch stärker wird der Heimkehrer mit Fragen gequält, ob er den Personen im Haus wohl etwas bedeute oder „nützen“ könne. Obwohl es feststeht, dass er „des Vaters, des alten Landwirts Sohn ist“, scheint ihm seine Beziehung und Funktion nicht klar. Inzwischen ist er so verunsichert, dass er es nicht mehr wagt, an die Tür zu klopfen. Er horcht „von der Ferne“ auf Geräusche aus dem Haus, und ist so weit entfernt, dass er nicht „als Horcher überrascht werden“ kann. So sehr ist er verunsichert in seiner Beziehung zu den sich im Haus befindlichen Personen, dass es ihm unangenehm wäre, beim Horchen ertappt zu werden. Aber durch die große Entfernung gelingt es ihm auch nicht etwas zu hören, was die Aktion sinnlos macht. Nur „einen leichten Uhrenschlag“ vermeint er zu hören, und ist sich allerdings auch dabei nicht sicher, ob es sich nicht um eine Erinnerung „aus den Kindertagen“ handelt. Das „Geheimnis“ der im Haus Weilenden kann nicht aufgelöst werden. Es bleibt weiter bei den Personen im Haus verwahrt.

„Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man.“ Dies ist die Erkenntnis des Heimkehrenden, aber diese lange Phase des Zögerns hat auch in ihm einen neuen Gedanken zum Vorschein gebracht. Wenn nun jemand von den Personen im Haus hinaustreten und ihn etwas fragen würde, wie sehe seine Reaktion aus?

„Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will.“

 

Franz Kafkas Text „Heimkehr“ zählt für mich zu einem der ergreifendsten Texte, die er geschrieben hat. Er hat für mich eine besondere Bedeutung, weil er das Unvermögen der heimkehrenden Person zeigt, eine Vertrautheit zu den Menschen zuhause aufzubauen, die nie existiert hat. Die „Heimkehr“ kann nicht gelingen, weil der Heimkehrende nie in der Form daheim war, wie er es sich gewünscht hat. Vor seiner Rückkehr hatte er eine Hoffnung, vertraute Gefühle wiederzufinden, mit zunehmender Dauer des Aufenthalts aber wird das Gefühl der Fremdheit immer stärker und am Ende stellt sich die ungeheure Gewissheit heraus, dass es nicht nur an den Personen im Haus liegt, die den Heimkehrer an seinem Heimkommen hindern, sondern dass er selbst es ist, „der sein Geheimnis wahren will.“

 

Franz Kafka schafft es, in diesem kurzen, mit einfachen Worten geschriebenen Text eine Wahrheit zu zeigen, die den Lesenden mit voller Wucht trifft. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, die uns wohl am stärksten beeinflusst und unser Leben bestimmt, kann für immer eine distanzierte und von Geheimnissen geprägte sein, in der Vertrautheit nicht möglich ist. Dem verlorenen Sohn, der verlorenen Tochter gelingt es nicht, die Distanz zu durchbrechen, nicht nur durch den Wiederstand der Eltern, sondern durch den eigenen. Die Verlorenheit ist das Gefühl, das bleibt und ein Finden ist nicht möglich.