Franz Kafkas Prometheus – Erklärungsversuch des Unerklärlichen
Prometheus hatte der Sage nach das ungeheuerliche Privileg, ein Liebling der Götter zu sein und mit ihnen an ihrem Mahl teilnehmen zu dürfen. Aber da er ein Mensch war, gelang es ihm anscheinend nicht -was menschlich ist- zu ertragen, nirgends wirklich dazuzugehören. Man kann sich vorstellen, wie schwierig es war, nach einem Mahl mit den Göttern, sich wieder zu besinnen, eigentlich nur ein Mensch zu sein, was seinen Hass auf die, die über ihn und unsterblich waren, sicherlich nährte. So scheint er sich dazu entschlossen zu haben, denen, von denen er kam, etwas von denen zu geben, bei denen er jetzt war, aber zu denen er nicht gehörte. So gab er den Menschen nach einer der Versionen, die überliefert sind, das Feuer, damit sie nicht mehr auf die Gunst der Götter warten mussten und diesen ausgeliefert waren, außerdem machte er selbst Menschen aus Lehm und überhöhte sich damit selbst in den Rang von Göttern.
Der Hybris folgt eine ewig währende Bestrafung: Am Kaukasus-Gebirge finden wir Prometheus für alle sichtbar festgekettet, während Adler in seine immer wieder nachwachsende Leber mit ihren Schnäbeln hineinhacken und Teile davon fressen. Der ewig existierende Mythos soll den Menschen auf alle Zeit zeigen, dass sie sich nicht mit den Göttern gleichstellen und diese betrügen sollen.
Franz Kafka gibt uns zu dieser ursprünglichen Überlieferung weitere drei: Bei der zweiten „drückte sich Prometheus im Schmerz vor den zuhackenden Schnäbeln immer tiefer in den Felsen, bis er mit ihm eins wurde.“ Damit ist es Prometheus gelungen, durch die Ungeheuerlichkeit des Schmerzes sogar eins mit dem Felsen zu werden und so der Unmöglichkeit zu entgehen, einen solchen Schmerz für immer zu ertragen.
In der dritten „wurde in den Jahrtausenden sein Verrat vergessen, die Götter vergaßen, die Adler, er selbst.“ Somit rettet die beinahe unendliche Zeit, die seit Beginn der Welt noch immer den Ablauf aller Existenz bestimmt, Prometheus, und das Vergessen, eine menschliche Dimension, besiegt die beinahe unendlich existierende Zeit.
Kafkas vierte Überlieferung zeigt uns müde geworden gegenüber der Unendlichkeit des Mythos. „Die Götter wurden müde, die Adler wurden müde, die Wunde schloß sich müde.“ Niemand, nicht einmal die Götter schaffen es, der Unendlichkeit des mythischen Geschehens ewig gewahr zu sein. Und Kafka spricht sogar vom „grundlos Gewordenen“, was bedeutet, dass im Endeffekt nicht einmal der Grund für die Bestrafung des Prometheus übriggeblieben ist.
Nachdem nichts mehr von der Figur des Prometheus übrig ist („Blieb das unerklärliche Felsgebirge. — Die Sage versucht das Unerklärliche zu erklären. Da sie aus einem Wahrheitsgrund kommt, muß sie wieder im Unerklärlichen enden.“), existiert doch noch das Gebirge, ein realer Zeuge, eine Wahrheit, die uns daran erinnert, dass die Sage nur ein Versuch ist, uns das zu erklären, was nicht zu erklären ist. Nach dem Ende der Sage und des Mythos sind wir mit der erschütternden Wahrheit konfrontiert, dass jeder Erklärungsversuch im Unerklärlichen endet.