Franz Kafka: Der Aufbruch – kein Essvorrat kann dich retten

Franz Kafkas kurzer Text „Der Aufbruch“ konfrontiert uns mit dem Versuch eines dynamischen Beginns einer Reise. Der Ich-Erzähler wird allerdings gleich zu Beginn damit konfrontiert, dass sein Diener ihn nicht versteht und daher sein Wunsch, ein gesatteltes Pferd zu bekommen, ins Leere läuft. Er muss selbst Hand anlegen und kann erst dann sein Pferd besteigen. Als der Ich-Erzähler schließlich „in der Ferne […] eine Trompete blasen" hört, scheint er in seinem Aufbruch bestärkt, er muss allerdings erfahren, dass der Diener wieder nichts gehört hat und auch die Bedeutung des Trompetensignals nicht kennt.

Schließlich scheint der Diener „beim Tore“ dann doch ein wenig Anteilnahme für den Aufbruch seines Herrn aufzubringen, sodass er diesen nach dem Ziel des Ausritts fragt. „Wohin reitet der Herr“ lautet die Frage, und jetzt dreht sich das Spiel, denn dieser antwortet: „Ich weiß es nicht.“ So gibt es zwar kein Ziel auf dieser Reise, aber schließlich doch eine Richtung, „nur weg von hier“. Das ist der erste Orientierungspunkt, der auf der Reise erscheint, nach welcher aber der Ich-Erzähler ein starkes Bedürfnis hat.

„Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.“ Diese Aussage scheint den unwissenden und wenig hilfsbereiten Diener ebenfalls zu interessieren: “Du kennst also dein Ziel.“, lautet seine Frage. „Weg-von-hier‹ – das ist mein Ziel.“, ist die Antwort, welche den Diener nun doch zu ein wenig Verantwortungsgefühl animiert. „Du hast keinen Essvorrat“ merkt er an. „Ich brauche keinen“, antwortet der Mann, „die Reise ist so lang, dass ich verhungern muss, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Kein Essvorrat kann mich retten. Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise.“

Wenn wir diesen Text als Parabel definieren, gibt er uns ein typisch kafkaeskes Rätsel bezüglich seiner Belehrung auf: Um welche Reise handelt es sich, warum ist der Diener so wenig hilfreich und hält die Unternehmung seines Herrn anscheinend für einen Unsinn? Warum ist das Ziel das Weggehen und warum erscheint diese „wahrhaft ungeheure Reise“ dem Ich-Erzähler ein Glücksfall zu sein?

Das Motiv der Reise findet sich in der Literatur häufig als Bild für das Leben. Wir befinden uns auf einer Reise, deren Verlauf und Ziel wir nicht wirklich kennen. So geht es auch der Person in Kafkas Text. Diese Reise ist allerdings gekennzeichnet durch Orientierungslosigkeit. Das Ziel ist klar definiert, aber nur darin, dass die Person wegzukommen wünscht. Das Ziel ist der Aufbruch zu einer Reise, die keine Vorräte benötigt. Der Ich-Erzähler muss sich darauf verlassen, dass er unterwegs genügend zum Überleben bekommt, eine Vorbereitung ist für diese Reise nicht möglich. Der Diener erweist sich – wie auch Diener in manchen anderen Texten von Kafka- als unbrauchbar und scheint sich sogar irgendwie über den Mann lustig zu machen. Trotz all dieser seltsamen Umstände spricht der Ich-Erzähler vom „Glück“ einer „wahrhaft ungeheuren Reise“.

Was bleibt uns als Menschen übrig, als das Pferd zu satteln und aufzubrechen, ohne Hilfe eines anderen Menschen, der nicht mehr weiß als wir selbst, der nicht dasselbe Signal hört als wir, den es nicht wirklich interessiert, was wir tun. „Weg von hier“ ist unser Ziel, denn wir wissen, dass wir nicht bleiben können, da jeder Tag etwas für uns bereithalten kann, was ein Verweilen unmöglich macht. Wir können mit keinem noch so ausgeklügelten Vorrat für alle Eventualitäten gerüstet sein, denn der Weg ist zu lang und zu ungewiss, um sich darauf vorbereiten zu können.

Es ist „eine wahrhaft ungeheure Reise“, die wir alle zu machen auserwählt wurden. Ob es ein „Glück“ ist, sind wir uns nicht immer sicher, aber manchmal empfinden wir es so und vielleicht geht es um diese Augenblicke.

 

(Für Kater Willi, der am 17. 1. 2021 eine weitere Dimension dieser Reise beschritten hat und uns vorausgegangen ist.)