Prinz Harry "Reserve"

Prinz Harry: „Reserve“ war die Sommerlektüre des Jahres 2023. Ich habe das Buch auf dem Balkon gelesen und es passte zum Sommer, für den ich eine leichte Lektüre suchte. Mit über 500 Seiten ist das Buch sehr umfangreich und ich hatte natürlich eine gewisse Vorstellung, was mich erwarten würde: schwierige Kindheit mit Mutter Diana und Prinz Charles, der Tod der Mutter, das Begräbnis, zahlreiche unrühmliche Geschichten und Jugendsünden, Verlobung und Heirat mit einer amerikanischen Serien-Darstellerin und schließlich das Verlassen des Königshauses. Wer kennt das alles nicht?

Insofern würde das Buch wohl keine besondere Überraschung bringen und sich höchstens als leichte Unterhaltung eignen über ein Thema, das trotz allem immer wieder die meisten Menschen interessiert, nämlich die Royals. Man darf es nur in der Öffentlichkeit (als Akademikerin schon gar) nicht sagen. 

Harry ist natürlich (ich denke für die meisten) die interessanteste Person aus dem Königshaus. Im Gegensatz zu seinem recht langweilig wirkenden Bruder William war er immer der Rebell, der Unangepasste, und dieses Image hat er bis jetzt erfüllt. Alleine schon sein Aussehen ist anders als das der übrigen Royals, was auch zeitweise dazu führte, dass man ihn als Sohn Dianas mit einem ihrer zahlreichen Liebhaber, dem er ähnlich sah, hielt. (Nicht ganz) alle Zweifel wurden im Laufe der Zeit ausgeräumt und Harry versuchte trotz seines nicht sehr angepassten Wesens seine Aufgaben im Königshaus mehr oder minder zu erfüllen. So weit das, was alle wissen, und nun zum Buch:

Ich muss sagen, dass diese Autobiografie mich doch sehr überrascht hat, die sie viele interessante und spannende Elemente enthält. Man kann natürlich jetzt sagen, was hat unser Leben mit dem der Royals zu tun, aber wenn man Harrys Darstellung liest, doch mehr als man denkt. Dem Buch gelingt es, ein Leben im ständigen Rampenlicht darzustellen, so extrem, wie man es doch nicht erwartet. Harrys Leben zeigt sich hier als eine Abfolge von unerfüllten normalen Wünschen und als eine Gefangenschaft, wie man sie sich als normal lebender Mensch nicht vorstellen kann. Das Interessante daran ist gerade dies, dass Harrys Wünsche an das Leben sehr einfache sind. Er ist ein begeisterter Soldat (für mich sehr schwer nachvollziehbar) und bereit, in kriegerische Einsätze mit allen Konsequenzen einzusteigen. Er machte die komplette Ausbildung zum Elite-Soldaten mit allen ihren Härten (für mich auch etwas völlig Unbekanntes - besonders was hier gefordert wird) und dann, als er bereit für den Einsatz war, durfte er nicht, weil er ständig als Sicherheitsrisiko galt. Laut diesem Buch ist das etwas, was ihn nach Dianas Tod am meisten getroffen hat. 

Der zweite interessante Aspekt sind seine "Frauengeschichten": Alle Beziehungen gingen in die Brüche, weil die Frauen, mit denen er zusammen war, dem Druck der Medien, dem sie und auch ihre Familie ausgesetzt waren, nicht standhielten. Sie gaben alle auf, weil ihnen das Leben zur Hölle gemacht wurde und sie nicht den Schutz hatten, der den Mitgliedern des Königshauses zur Verfügung steht. Schließlich ging auch Meghan Markle beinahe daran zugrunde und die Beziehung konnte nur durch die Flucht einigermaßen gerettet werden. Auch Megan hielt dem Druck in England nicht stand. 

Und schließlich ist da noch Diana: Harry schreibt sehr eindrucksvoll über das "Sich-Nicht-Erinnern-Können" an seine Mutter. Das Trauma hatte ihm alle Empfindungen und Erinnerungen an sie gelöscht. Es ist eine eindrucksvolle und (wie ich meine) sehr ehrliche Darstellung von dem, was mit einem Menschen passiert, der einem solchen Geschehen ausgesetzt ist, und das noch dazu in diesem Alter und in der Öffentlichkeit. Harry geht hier einen sehr (wie ich meine) offenen Weg im Umgang mit der extrem belastenden Situation und zeigt das, was nie an die Öffentlichkeit kommen durfte. In diesem Punkt kommt es auch zu einer schonungslosen Abrechnung mit seinem Vater, seiner Stiefmutter und vor allem mit seinem Bruder William, der hier in ganz anderem Licht gezeigt wird als sonst, da er doch immer als der Gute und psychisch Gefestigte galt.

Mein Abschluss-Resümee lautet: Das Buch ist durchaus lesenswert und nicht nur für Anhänger der Royals, zu denen ich mich gar nicht zähle. Es zeigt einen Menschen mit relativ normalen Bedürfnissen, die nicht erfüllt werden konnten und auch nie erfüllt werden können. Insofern handelt es sich hier auch um ein tragisches Schicksal eines Menschen, noch dazu unter dem Aspekt, dass die Tragik nicht ernstgenommen wird, da sie von der Öffentlichkeit nicht in ihrer Tragweite wahrgenommen werden kann. Es ist ein Leben, das trotz aller Darstellungen für Außenstehende nicht wirklich vorstellbar ist.

 

 

 

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